>>Die wichtigste Frage der Menschheit<<

Prof. Dr. Joseph A. Kruse über Heinrich Heine und sein Verhältnis zur Theologie


IV

Die Düsseldorfer Ausbildung wurde von Heine als Vermittlung des Erkenntnisinteresses mit dem praktischen Interesse, als Einheit von Gedanke und Tat ausgelegt. Das Buch Le Grand, die Geständnisse und die Memoiren belegen diese Selbstinterpretation: der sozialen Bewegung ein Recht zu verschaffen auf Erden, Gott im Menschen zu sich selber gelangen zu lassen/32/, quasi im Sinne des Johannesevangeliums das Ereignis der Auferstehung als letztgültige menschliche Erfüllung in der Welt zu plazieren und den außerirdischen, als Trost erfundenen Himmel den Spatzen zu überlassen/33/, Glück zu stiften nach dem melancholischen Muster seiner Parodie der Bergpredigt im 5. Buch der Börne-Denkschrift/34/, aber auch in heitersten Perspektiven an zahlreichen Stellen seines Werks/35/; das alles kann durchaus als theologische Komponente seines Schreibens charakterisiert werden. Heute wird man dieses Engagement für die Entrechteten als Theologie der Befreiung/36/ betrachten dürfen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und das Leben als Recht begreift, wie es Heine unermüdlich betont./37/ Diese soziale Theologie ist bereit, Gott als Schemen in den Hintergrund treten zu lassen zugunsten seiner menschlichen Abbilder. Von daher ist Heines sehr späte ironische Verteidigung der atheistischen Kommunisten von damals trotz seiner gleichzeitigen Altersfrömmigkeit/38/ zu verstehen.

Heine liefert im Rahmen seiner politischen Theologie die Variation zu jenem von ihm intonierten und dann von Nietzsche aufgegriffenen Thema aus dem Gebiet der Erkenntnislehre vom Tode Gottes./39/ Für kurze Zeit wird er zum eindrucks- und mitleidvollen Mythologen des nazarenischen Gottes seiner Väter und Jesu, wie er es später für die hellenischen Götter im Exil aus der griechisch-römischen Antike geworden ist, während er dann wieder aus dem Arsenal der Religionsgeschichte den Gott der Bibel hervorholt als Horizont, Kulisse und Dialogpartner und zwar mit Hilfe seines Gottesbeweises ex depravatione/40/: Gott fehlt ihm in seiner Not, also muß es ihn geben. Damit wird nicht zurückgenommen, was er über Schellings vermeintliche Konversion angemerkt hatte, es gebe natürlich zahlreiche Bekehrungsgeschichten, die eher zur Pathologie gehörten./41/ Nein, Heine wird sich gerade aufgrund seines Synkretismus des Nacheinander, wie es bereits in den Lüneburger Gesprächen mit Diepenbrock-Grüter anklingt/42/, nicht untreu und folgert theologisch daraus die Einforderung der Prinzipien der Französischen Revolution als solchen von religiöser Verbindlichkeit. Christus ist >>für die Gleichheit und Brüderschaft der Menschen gestorben<<, heißt es in den Französischen Zuständen. Die Folgerung lautet für die gravierende Auseinandersetzung in den Bauernkriegen: >>Luther hatte Unrecht und Thomas Münzer hatte Recht<<./43/

Diese Weise einer Theologie der Befreiung verdankt Heine wie die eigene sogenannte Bekehrung jener >>Hausapotheke der Menschheit<<,/44/ der letztendlich auch die Himmelsvorstellung entstammt und das kirchliche Reservoir an Glaube, Hoffnung und Liebe/45/; nämlich er verdankt sie der Bibel.. Die weltflüchtige Exegese dieses Buches der Bücher kombiniert mit der Machtstruktur einer Religion und Kirche ergibt nach Heine nur die Funktion als >>geistiges Opium<<,/46/ womit er Marx voraus ist und beeinflußt, bedeutet die Perversion zu einer Klammer von >>Thron und Altar<<./47/ Dagegen erschafft Heine als Leser eines Dokumentes der Weltliteratur von göttlichem Zuschnitt eine mittlerweile auch von den Theologischen Fakultäten aufmerksam wahrgenommene Biblische Theologie./48/ Heines Ruf als Spötter ist so fest und gut begründet, daß man immer noch nicht glauben will, das Hohelied der Bibel im 19. Jahrhundert sei von ihm angestimmt worden und er sei, wie er an Campe schreibt, nicht umsonst bibelfest./49/ Heine hat die Bibel in Umkehrung der Jona-Geschichte wie einen Walfisch verschlungen, und sie rumort in ihm in einer Variante zu den Helgoland-Briefen des Börne-Buches/50/ so gewaltig, ist ihm derart nah und vertraut wie dem armen Mann der Hauswirtin aus dem Schnabelewopski der Umgang mit den Protagonistinnen der biblischen Geschichte./51/

Freilich ist zu Recht von der biblischen >>Autokratie<< in Heines Weltbild zu reden./52/ Der Dichter überläßt sie nicht den darauf abonnierten Gruppen. Das >>Bibeltum<</53/ breitet sich zwar durch diese aus, befreit sich aber aus den Fesseln von Kirchen und Sekten. Das Bibeltum bildet den demokratischen, die menschliche Existenz immerdar anrührenden, erziehenden (Heine steht auf den Schultern Lessings)/54/ und erklärenden Raum für den >>Odem<< Gottes,/55/ so sehr dieser auch der himmlische Aristophanes oder der große Tierquäler sein mag./56/Wenn dann das Wort Fleisch geworden ist und die Welt die Signatur des Wortes darstellt,/57/ die literarische Heimat des Wortes, sein Hort und sein Lexikon ist die Bibel.

Heines biblische Theologie war für die Zeitgenossen vielfach blasphemisch./58/ Das war auch einer der Hauptgründe beim Verbot des Jungen Deutschland im Jahre 1835./59/ Der evangelische Theologe Hengstenberg vergleicht Heine deshalb mit den Wiedertäufern von Münster und nennt ihn den >>Knipperdolling unserer Tage<<./60/ Blasphemisch erschien er deswegen, weil seine biblische Theologie nicht vor literaturkritischen, gewissermaßen entmythologisierenden Deutungen zurückschreckte, um nichtsdestoweniger weit vor Bultmann den existentialen, auf das moderne Verständnis bezogenen Sinn anzuerkennen. Man vergleiche z. B. seine Darstellung der Entwicklung des Gottesbildes als >>Vita<< oder >>Geschichte Gottes<< und die Charakteristik des Moses in den Geständnissen, der dem Gotte des Alten Bundes so ähnlich sehe in seiner Liebe und in seinem Zorn. Heine nennt diese Deutung mit halb zurücknehmender Gebärde >>Anthropomorphismus<<./61/

Ähnliches geschieht bei einer der vielen Nebukadnezar-Stellen, wo Heine in Klammern das Gras kommentiert: es wird wohl Salat gewesen sein./62/ Obszön-skandalös und in etwa mit Martin Scorseses Film Die letzte Versuchung Christi (1988) zu vergleichen ist seine natürliche Bibelauslegung anläßlich der Gemäldeaustellung von 1843. Beim Bild >>Jesus und die Samariterin am Brunnen<< läßt Heine eine kleine Schwäbin dem examinierenden Superintendenten auf die Frage, woran die Samariterin Jesus erkannt habe, keck antworten: an der Beschneidung./63/ Genauso ist seine Wiedergabe des Vernet-Gemäldes Juda und Thamar eine die Sexualität als natürlichste Voraussetzung nehmende Familiengeschichte Jesu./64/

  1. Vgl. z. B. das Vorwort zu Deutschland. Ein Wintermärchen, B 7, S. 575; >>wenn wir den Gott, der auf Erden im Menschen wohnt, aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöser Gottes werden<<.

  2. Deutschland. Ein Wintermärchen, Cap. I, B 7, S. 578.

  3. B 7, S. 123-125: eine Seligpreisung jener, so übel es ihnen ergehen mag, die nicht der Heimatlosigkeit des Exils zur Gänze überantwortet sind.

  4. Heines Glücks-Auffassung, ihr Zusammenhang mit der Religion der Freude verdiente eine eigene Untersuchung, die seinem Sensualismus tatsächlich die sinnliche Anschaulichkeit verleihen könnte; vgl. die Belege des Registers B 12, S. 801.

  5. Hier sind nicht sektiererische Exzesse gemeint, sondern ernstzunehmende theologische Ansätze: z. B. Johann Baptist Metz, Jenseits bürgerlicher Religion. Reden über die Zukunft des Christentums, München/Mainz 1980 (Gesellschaft und Theologie: Forum Biblische Theologie Nr. 1) und Claus Bussmann, Befreiung durch Jesus? Die Christologie der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, München 1980.

  6. z. B. Verschiedenartige Geschichtsauffassung, B 5, S. 23: >>Das Leben ist weder Zweck noch Mittel; das Leben ist ein Recht. Das Leben will dieses Recht geltend machen gegen den erstarrenden Tod, gegen die Vergangenheit, und dieses Geltendmachen ist die Revolution.<< - Vgl. auch Heines Brief an Henrich Laube, 23. November 1835, HSA XXI, S. 125.

  7. Hermann Lübbe, Heinrich Heine und die Religion nach der Aufklärung, in: Wilhelm Gössmann/Joseph A. Kruse (Hrsg.), Der späte Heine, a.a.O., S. 205-218, der Begriff Altersfrömmigkeit S. 206 und 209; vgl. S. 213: >>Kurz: Religion ist auch nach der Aufklärung nötige Lebenspraxis des angemessenen Verhaltens zum Unverfügbaren, und die Frömmigkeit dieser Religion ist die Frömmigkeit Heines.<<

  8. Vgl. den Nachtrag Dolf Sternbergers von 1975 seines Buches von 1972 Heinrich Heine und die Abschaffung der Sünde, Frankfurt/Main (Suhrkamp Taschenbuch 308), S. 398-429 mit Hinweis auf Eugen Bisers Nietzsche/Heine Untersuchungen (S. 420f.).

  9. Vgl. Verf., Denk ich an Heine a.a.O., S. 147.

  10. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 3. Buch, B 5, S. 634.

  11. Vgl. Verf., Denk ich an Heine a.a.O., S. 95-101, bes. S. 100.

  12. Beilage zu Artikel VI, B 5, S. 230.

  13. Wie Anm. 13 aus der Späteren Note zu den Denkworten über Ludwig Marcus, B 9, S. 191. - S. auch Schmidt, >>Streitaxt der Reformation<<, a.a.O.

  14. Heine nennt diese göttlichen Tugenden das geistige >>Opium<<; >>Heil einer Religion, die dem leidenden Menschengeschlecht in den bittern Kelch einige Süße, einschläfernde Tropfen goß<< (Ludwig Börne, 4. Buch, B 7, S. 111).

  15. Ebd.; als >>Buch der Bücher, Biblia<< preist Heine die Bibel bereits vorher in Ludwig Börne, 2. Buch, B 7, S. 40.

  16. Vgl. Johann Michael Schmidt, Thron und Altar. Zum kirchengeschichtlichen Hintergrund von Heines Kritik des preußischen Protestantismus, in: HJb 16 (1977), S. 96-128.

  17. Vgl. außer Schmidt, >>Streitaxt der Reformation<<, a.a.O., Leo F. J. Meulenberg, >>Mein armer Vetter, der du die Welt erlösen gewollt<<. Die Gestalt Jesu im religiösen Werdegang von Heinrich Heine, in: Kerygma und Dogma. Zeitschrift f. theologische Forschung und kirchliche Lehre 32/2 (1986), S. 71-98.

  18. An Julius Campe, 27. Oktober 1851: Jeder Arbeiter sei seines Lohnes wert; >>Sie sehen, ich bin nicht umsonst bibelfest<< (HSA XXIII, S. 145). - Die Zahl von mindestens 400 Bibelzitaten spricht für sich, etwa je die Hälfte aus Altem und Neuem Testament (Schlingensiepen, a.a.O., S. 27).

  19. DHA XI, S. 214.

  20. B 1, S. 543 f. (und zwar befassen sich die Träume des Bruchbandmachers zum Ärger seiner Frau nur mit den Heldinnen des Alten Testaments).

  21. Guttenhöfer, a.a.O., S. 211-215.

  22. Geständnisse, B 11, S. 485.

  23. Vgl. Guttenhöfer, a.a.O., S. 167.

  24. Vorrede zur zweiten Auflage von Salon II, B 5, S. 512.

  25. Dem >>Aristophanes des Himmels<< stellt Heine sich selber als >>kleinen, irdischen, sogenannten deutschen Aristophanes<< gegenüber (Geständnisse, B 11, S. 499f.); zu Gott als Tierquäler (und nicht >gutem< Gott) vgl. Heine an Heinrich Laube, 12. Oktober 1850, HSA XXIII, S. 56.

  26. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 3. Buch, B 5, S. 593.

  27. Vgl. Guttenhöfer, a.a.O., S. 84f.; vgl. aber auch zur literarischen Verwendung der Bibel durch Heine, durch die sie für die zeitgenössischen Leser gleichzeitig aktualisiert wurde: Margaret A. Rose, Die Parodie: Eine Funktion der biblischen Sprache in Heines Lyrik, Meisenheim/Glan 1976 (Deutsche Studien Bd. 27).

  28. Jost Hermand (Hrsg.), Das Junge Deutschland. Texte und Dokumente, Stuttgart 1966, S. 331.

  29. Zit. bei Rose, a.a.O., S. 16.

  30. Schlingensiepen, a.a.O., S. 11f., bezieht sich auf das Ende des 2. Buches von Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, wo Gottes Geschichte und Sterbeszene dargestellt wird, B 5, S. 591. - Die Moses-Interpretation findet sich in den Geständnissen, B 11, S. 480: es wäre eine große Sünde, >>eine solche Identität des Gottes und seines Propheten<< anzunehmen - >>aber die Ähnlichkeit ist frappant<<.

  31. Heine spielt z. B. in Briefen an die Mouche die Rolle von >>Nebukatnetzar II<< (Ende Dezember 1855 und 1. Januar 1856), HSA XXIII, S. 475f.; die bibelkritische Nebukadnezar-Stelle findet sich in den Geständnissen, B 11, S. 478f.

  32. Lutetia, 2. Teil (Artikel vom 7. Mai 1843), B 9, S. 481f.

  33. Ebd., S. 482f.: >>die Beiwohnung eines Weibes, das er an einer Landstraße fand<<, war >>für den Hebräer der Vorzeit ebensowenig eine unerlaubte Handlung, wie der Genuß einer Frucht, die er von einem Baume an der Straße abgebrochen hätte<<.

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